Wer einen anderen Blick auf die Menschheit werfen möchte, als den, den wir aus den Nachrichten, aus Social Media, aus vielen Teilen unserer Gesellschaft und oft auch aus dem (Arbeits-) Alltag kennen, der kann mit diesem Buch die Brille wechseln. Der niederländische Historiker legt eine radikale, fast schon provokante These auf den Tisch: Der Mensch ist – trotz Kriegen, Gier, Gewalt und Abendnachrichten – im Kern gut. Nicht egoistisch, nicht zerstörerisch, nicht verdorben. Sondern kooperativ, hilfsbereit und im Grunde gut. Ok, also wenn dann jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Buch ist, dann weiß ich auch nicht.
Lieblingsstellen & food for thought
- „Ich habe Erwartungen an Sie, die mein Verhalten Ihnen gegenüber bestimmen; und mein Verhalten wirkt sich dann auf die Erwartungen aus, die Sie an mich stellen, die dann wiederum Ihr Verhalten mir gegenüber beeinflussen.“
Ok, diesen Satz muss man vielleicht mehrmals lesen😉 Dahinter stehen zwei psychologische Effekte: der Pygmalion-Effekt und der böse Bruder dazu, der Golem-Effekt.
Der Pygmalion-Effekt beschreibt das Phänomen, dass sich Erwartungen, die wir an andere haben, oft selbst erfüllen. Also konkret: Wenn du Menschen zutraust, dass sie fähig, klug und engagiert sind, verhalten sie sich mit höherer Wahrscheinlichkeit auch so. Erwartest du wenig, sinkt oft auch die Leistung (Golem-Effekt). Kurz gesagt: Unsere Haltung wirkt wie ein Spiegel – sie beeinflusst das Verhalten und die Ergebnisse unseres Gegenübers.
Grund genug, die eigenen Erwartungen an andere zu reflektieren und vielleicht auch zu verändern. - „Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter? Gar nicht. Ich denke, dass davon eine Art Bevormundung ausgehen würde.“
Zum Thema ‚Die Kraft der inneren Motivation‘ wirft Bregmann einen Blick auf die Entwicklung der „Motivationsforschung“ und stellt einige Unternehmen vor, die anders als in der Vergangenheit agieren. Für mich ein spannendes Kapitel, da insbesondere in Veränderungen von Führungskräften häufig die Frage auf kommt, „wie motivieren wir denn jetzt die Mitarbeitenden?“ - „In jedem Menschen lauert das Böse unter der Oberfläche.“
Bregmann nimmt uns mit zu den Osterinseln, zum Weihnachtsabend während des Ersten Weltkrieges, zu den ersten freien Wahlen in Südafrika und zum bekannten Stanford Prison Experiment und zeigt auf: Oft erzählen wir uns Geschichten vom „bösen Menschen“, weil sie spektakulärer klingen – nicht, weil sie wahr sind. - Randnotiz Bemerkenswert: Ein Autor, der darüber schreibt, dass es ihm unangenehm ist, eines seiner früheren Bücher zu lesen. Und zwar weil er in diesem eine Untersuchung (Stanford Prison) als Beweis für die Verwandlung von guten Menschen in Monster genutzt hatte. Nach der Öffnung der Archive zu den Untersuchungen kommt er jetzt zu einem anderen Schluss.
Was ich für meine Arbeit in Veränderungen mitnehme
Wenn ich in Unternehmen oder Teams unterwegs bin, fallen mir oft unausgesprochene Haltungen und zugrundeliegende Menschenbilder auf. Zum Beispiel: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Oder: „Ohne Druck läuft hier gar nichts.“ Rutger Bregmanns Ansatz transportiert ein anderes Menschenbild, nämlich, dass der Mensch im Kern kooperativ, solidarisch und vertrauenswürdig ist.
In Organisationen entscheiden die zugrundeliegenden (oft unbewussten) Menschenbilder mit über Strukturen, über Zusammenarbeit und den Umgang miteinander: Glaube ich, dass Menschen im Kern träge sind und nicht von sich aus aktiv mitgestalten und mitarbeiten wollen? Dann baue ich Kontrollmechanismen, agiere als Micromanager und setze unzählige Reporting-Systeme auf. Glaube ich dagegen, dass Menschen vertrauenswürdig und kooperativ sind, dann gebe ich Autonomie, Selbstorganisation und Eigenverantwortung eine wirkliche Chance.
Für mich ein Grund mehr, dem Thema Menschenbild noch mehr Raum in der Arbeit mit Unternehmen, Teams und Führungskräften einzuräumen. Und auch mein eigenes Menschenbild immer wieder kritisch zu hinterfragen.
Fazit
Wer Impulse zum Nach- und Weiterdenken schätzt, wer neue Perspektiven sucht und sich auch das eine oder andere Aha-Erlebniss wünscht, kann in Rutger Bregmanns ‚Im Grunde gut‘ auf jeden Fall fündig werden. Und „nebenbei“ noch eine Menge Geschichtliches und faszinierende Geschichten mitnehmen. Daher: eine klare Empfehlung (aus Überzeugung).
Und noch eine kleine Vorwarnung: wenn man sich anhand der Quellen am Ende des Buches noch etwas tiefer zu der einen oder anderen Geschichte informieren möchte, sitzt man schnell mal bis nachts um drei vor dem Rechner😉
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